Politik und Gesellschaft – Strategie der Bundespolitik


Eine Strategie gegen Zucker, Fette und Salz?

Bei meinen Recherchen rund um die Frage, was die Politik in Deutschland gegen das Übergewicht tut, bin ich auf das folgende Programm gestoßen: „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz (NRI)“. Sie wurde von Beteiligten der Bundesregierung, der Bundesländer sowie von Verbänden aus den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Lebensmittelwirtschaft, Verbraucherschutz und Wissenschaft erarbeitet und im Dezember 2018 vom Bundeskabinett beschlossen. Für die Umsetzung ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Dialog mit Verbänden, Vereinen und Institutionen aus der Ernährungswirtschaft (inklusive Gastronomie), Forschung, Gesundheit und Verbraucherschutz. Begleitet wird sie durch ein engmaschiges, wissenschaftsbasiertes Produktmonitoring.


Die NRI umfasst nach Angaben des BMEL sechs Handlungsfelder:

  1. „Kinder und Jugendliche stärken. Im Fokus: Produkte mit Kinderoptik, Säuglings- und Kleinkindernahrung, Schul- und Kitaessen
  2. Zucker reduzieren. Im Fokus: Absenkung der Gesamtkalorien, Verbesserung der Nährstoffzusammensetzung
  3. Fette reduzieren. Im Fokus: industrielle trans-Fettsäuren, gesättigte Fettsäuren
  4. Salz reduzieren. Im Fokus: Salzspitzen, Unterstützung des Handwerks
  5. Forschung und Innovation fördern. Im Fokus: Ausweitung von Forschungs- und Innovationsvorhaben, transparente Kommunikation
  6. Ernährungskompetenz steigern Im Fokus:Aufklärungskampagnen, Wissen verständlich vermitteln“[1]

Ziel der Strategie ist es, eine gesundheitsförderliche Ernährung für alle Menschen zu unterstützen und damit den Anteil von Übergewichtigen und Adipösen in der Bevölkerung, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, zu senken sowie die Häufigkeit von ernährungsmitbedingten Krankheiten zu verringern. Das kann erreicht werden, indem die Nährstoffversorgung und Energiezufuhr ausgewogener werden. Vor allem Fertigprodukte, also industriell hochverarbeitete Produkte, stehen im Fokus. Dazu gehören hauptsächlich Erfrischungsgetränke, Frühstückscerealien, Milchprodukte und Brot. „Sie sind Teil eines modernen Lebensstils und können einen hohen Anteil der täglichen Ernährung ausmachen. Nicht selten weisen sie hohe Gehalte an Zucker, Fett und/oder Salz auf. Außerdem stehen speziell an Kinder und Jugendliche gerichtete Lebensmittel im Fokus. Bereits in der frühen Kindheit werden Geschmackspräferenzen geprägt, die einen Einfluss auf spätere Ernährungsgewohnheiten haben können“, wie das BMEL im ersten Zwischenbericht schreibt[2]

Es geht also vor allem um Fertigprodukte und darum, deren Nährstoffgehalt zu verändern – hin zu weniger zugesetztem Zucker und Salz sowie Energie-/Kaloriengehalt.


Eine gemeinsames Grundverständnis von Politik und Wirtschaft?

Zum Start unterzeichneten Politik und „teilnehmende Wirtschaftsverbände“ eine Grundsatzvereinbarung, in der die Industrie zugesagt hat, die Strategie zu unterstützen. Mit Stand Dezember 2020 hatten nach Angaben des BMEL neun Verbände der Lebensmittelwirtschaft entsprechende Prozess- und Zielvereinbarungen mit ihren Mitgliedsunternehmen getroffen. Das hört sich zunächst gut an. Dazu gehören:

  • die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e. V. (wafg)
  • der Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft e. V. (VGMS)
  • der Milchindustrie-Verband e. V. (MIV)
  • das Deutsche Tiefkühlinstitut e. V. (dti)
  • der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e. V. (BVLH) (u. a. ALDI, EDEKA inkl. Netto, Schwarz-Gruppe mit Kaufland und Lidl sowie die REWE Group; die Verpflichtung betrifft die Eigenmarken)
  • der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e. V. (ZVDB)
  • der Deutsche Brauer-Bund e. V. (DBB)
  • der Verband Deutscher Mineralbrunnen e. V. (VDM)
  • der Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie e. V. (VdF)

Zudem hat der Lebensmittelverband Deutschland e. V als Dachverband die Grundsatzvereinbarung unterzeichnet.

Die Vereinbarung ist lediglich eine Selbstverpflichtung der beteiligten Firmen und Verbände. Eine Pflicht zur Umsetzung, wie es bei einem Gesetz der Fall wäre, gibt es ebenso wenig wie Sanktionen im Fall der Nichteinhaltung. In seinem ernährungspolitischen Bericht aus dem Jahr 2020 teilte das BMEL lediglich mit, dass in diesem Fall „die Möglichkeit regulatorischer Maßnahmen“ bestehe, ohne diese näher zu definieren.


Diese Ziele sollen bis zum Jahr 2025 erreicht werden:

  • Reduktion des nach Absatz gewichteten Gesamtzuckergehalts in Frühstückscerealien in Kinderoptik um 20 Prozent von 2012 bis 2025
  • Zuckerreduktion um 15 Prozent im Median von 2015 bis 2025 in gesüßten Milchprodukten in Kinderoptik sowie in zuckergesüßten Erfrischungsgetränken
  • Reduktion des Gehalts von Kalorien oder Zucker in Erfrischungsgetränken und fruchthaltigen Getränken um 15 Prozent bis 2025, im Vergleich zum Jahr 2015
  • Abbau von Salzspitzen in Bäckereierzeugnissen, definiert als Salzgehalte von mehr als 25 Prozent oberhalb des Medians im Jahr 2019
  • Senkung des durchschnittlichen Salzgehalts in Tiefkühlpizzen auf 1,25 Gramm Salz/100 Gramm bis 2025
  • ein geringerer Energiegehalt, der vor allem durch die Reduktion von Zucker erreicht wird

Für industriell verarbeitete Lebensmittel, die nicht in die genannten Kategorien fallen, wurden keine konkreten Reduktionsziele definiert. Anders gesagt: für die allermeisten.


Was ist bisher passiert?

Als Maßnahme innerhalb der NRI hat die damalige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) im Mai 2020 eine Verordnung erlassen, die den Zusatz von Zucker und anderen süßenden Zutaten in Säuglings- oder Kleinkindertees verbietet.

Ein weiterer Schwerpunkt der NRI ist die Unterstützung von Forschungsvorhaben, wie die sogenannte Reformulierung ihrer Produkte gelingen kann. 11,6 Millionen Euro sind seit 2016 vom BMEL dafür geflossen, unter anderem für Forschungen des Max-Rubner-Instituts (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel.


Das Monitoring vom MRI

Das MRI ist zudem zuständig fürs Monitoring, das heißt für die Prüfung, ob sich die Zusammensetzung von „industriell vorgefertigten Produkten“ über die Jahre verbessert hat. Dazu erstellte es im Jahr 2016 eine erste Basiserhebung, in der die Zucker-, Fett-, Salz- und Energiegehalte von 18 Produktgruppen mit insgesamt 12.500 Produkten erhoben wurden. Im Jahr 2018 folgte die Basiserhebung für Erfrischungsgetränke. In den Folgejahren kamen weitere Daten und Produkte hinzu.

Das MRI definiert die untersuchten „industriell vorgefertigte Produkte“ in seinem ersten Monitoring wie folgt:

„Ein vorgefertigtes, industriell hergestelltes Produkt aus einem oder mehreren Lebensmitteln; dem Produkt sind mindestens Salz (auch Gewürze) und/oder Zucker und/oder Fett zugefügt. Es ist in verschiedenen Bearbeitungsstufen und in verschiedenen Zustandsformen im Lebensmitteleinzelhandel käuflich erwerblich und verfügt über einen EAN-Code.“[3]

Anders gesagt sind die meisten dieser Lebensmittel in der NOVA-Klassifikation hochverarbeitete Produkte der Kategorie #4. Eine Ausnahme bilden manche, wenig verarbeitete Milchprodukte, die in der offiziellen Kategorisierung unter NOVA #3 fallen.

Im Jahr 2019 veröffentlichte das MRI einen ersten Monitoringbericht, der zeigt, was sich seit den Basiserhebungen bei einigen Produktgruppen und -untergruppen geändert hat, für die Zielvereinbarungen der entsprechenden Branchenverbände vorliegen. Bei den gesüßten Joghurtzubereitungen, Quarkzubereitungen und trinkbaren Milchmischerzeugnissen sowie den Erfrischungsgetränken und Frühstückscerealien lag der Fokus auf den Energie- und Zuckergehalten. Grundlage für die Erhebung waren die Nährwertangaben und ab der Folgeerhebung im Jahr 2019 auch die Zutatenliste – beides also Angaben der Hersteller selbst. Alle Zuckerarten wurden erfasst, also neben dem zugesetzten zum Beispiel auch der Milchzucker (Laktose), der natürlicherweise in Milchprodukten enthalten ist, und der Fruchtzucker (Fruktose) in Obst. Bei den Tiefkühlpizzen wurden vor allem die Energie- und Salzgehalte untersucht. Das Monitoring berücksichtigt die Marktgewichtung der Produkte: Es gewichtet also häufig gekaufte Produkte schwerer als weniger beliebte Produkte.

Den zweiten Monitoringbericht veröffentlichte das MRI im April 2021. In diesem wurden die Daten für die Produktgruppen Brot und Kleingebäck, Fleisch und Wurst sowie Riegel (zum Beispiel Müsliriegel, Fruchtschnitten) erhoben und mit früheren Ergebnissen verglichen. Dafür wurden fast 5.000 Produkte untersucht, die im Jahr 2020 auf dem Markt waren. Erstmals gingen sogenannte Quetschprodukte ins Monitoring ein: pürierte Produkte, häufig auf Basis von Obst in Plastikbeuteln.

Die Ergebnisse sind eher durchwachsen. Deutliche Verbesserungen gibt es beim Salzgehalt von abgepacktem Brot und Kleingebäck – dieser ist in den vier Jahren „signifikant“ gesunken. (Bei Toast zum Beispiel um 8 Prozent.)

Bei den Produkten mit Kinderoptik zeigte sich, dass diese gegenüber vergleichbaren Produkten ohne Kinderoptik überwiegend geringere Energie- und Nährstoffgehalte haben oder zumindest im gleichen Bereich liegen.

Die beliebten Schoko-Müsliriegel enthielten rund 11 Prozent weniger Zucker. Bei den verpackten Wurst- und Fleischwaren haben sich dagegen kaum Verbesserungen ergeben: die Gehalte an Energie, Salz, Fett und gesättigten Fettsäuren sind im Vergleich zur Basiserhebung gleich geblieben. Snack-Salamis sind die energie-, fett- und salzreichste Produktuntergruppe.

Bei den erstmals untersuchten Quetschprodukten kam heraus, dass die Spannweite beim Zuckergehalt sehr groß ist: Je nach Sorte sind zwischen 6,5 und 16,7 Gramm Zucker pro 100 Gramm enthalten.


Das MRI zieht ein negatives fazit

Als Fazit zieht das Max-Rubner-Institut in seiner Pressemitteilung zum jüngsten Monitoringbericht, dass weiterhin Produkte in den oberen Bereichen der Energie- und Nährstoffgehalte auf dem Markt sind. Das könne ein Hinweis darauf sein, dass Reduktionen weniger bei auf dem Markt etablierten Produkten stattfinden, sondern eher das Sortiment um Produkte mit geringeren Gehalten an Energie, Fett, Salz oder Zucker erweitert wird.

Im Dezember 2020 veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft einen Zwischenbericht, der die Ergebnisse des Produktmonitorings aufgreift. Im Vorwort bemerkt die damalige Ernährungsministerin Julia Klöckner immerhin selbstkritisch an: „Dennoch sieht das BMEL in manchen Bereichen weiterhin klaren Handlungsbedarf. So sind an Kinder gerichtete Produkte dahingehend zu reformulieren, dass sie zukünftig weniger Zucker und Energie enthalten als vergleichbare Produkte für Erwachsene. Auch in anderen Produktgruppen sind die Reduktionsanstrengungen zu verstärken und die bereits entwickelte Dynamik entsprechend zu beschleunigen. Darüber ist es sinnvoll bestehende Zielvereinbarungen auszuweiten bzw. neue Zielvereinbarungen zu treffen, um weitere relevante Produktgruppen wie Brot und Backwaren sowie Fleischerzeugnisse zu erfassen.”[4]


Die zentralen Ergebnisse laut dem Zwischenbericht des BMEL:

  • Bei den gesüßten Milchprodukten (Joghurt- und Quarkzubereitungen) sind sowohl bei den Produkten mit Kinderoptik als auch bei jenen ohne Kinderoptik geringere Energie- und Zuckergehalte als in der Basiserhebung zu verzeichnen. Beispielsweise ist der Zuckergehalt bei Quarkzubereitungen mit Kinderoptik (vermutlich gehören die beliebten „Fruchtzwerge“ dazu) zwischen 2016 und 2019 um 17,7 Prozent gesunken – von 13 auf 10,7 Gramm pro 100 g. Der Gehalt an Energie (Kalorien) sank um 9,2 Prozent.
  • Bei den Erfrischungsgetränken mit Kinderoptik sank der Zuckergehalt von 2018 bis 2019 um 35,1 Prozent – von 7,7 Gramm auf 5 Gramm pro 100 Milliliter. Zum Kaloriengehalt macht der Zwischenbericht keine Angabe, ebenso wenig wie zu Erfrischungsgetränken, die sich nicht explizit an Kinder richten.
  • Bei den Frühstückscerealien in Kinderoptik sank der Zuckergehalt zwischen 2016 und 2019 von 28 auf 23,9 Gramm (14,6 Prozent). Der Kaloriengehalt ist nicht gesunken.
  • Bei Tiefkühlpizzen gab es im Berichtszeitraum 2018 bis 2020 keine Verbesserungen beim Energie- und Salzgehalt.

Es gab nicht überall Verbesserungen, bzw. sie waren nur minimal, wie etwa bei den Erfrischungsgetränken. Zudem mutmaßt das Max-Rubner-Institut in seinem Bericht zum Produktmonitoring, dass an bestehenden Produkten wenig oder selten etwas verändert wird, dafür neue Produkte entwickelt werden, die eine andere Nährstoffzusammensetzung aufweisen.


Verbände sparen nicht mit Kritik

Immerhin sitzen im Rahmen der NRI viele Akteure aus Gesundheit, Politik, Wirtschaft und Verbraucherschutz, die mit Ernährung zu tun haben, zusammen an einem Tisch – zumindest offiziell. Einige der beteiligten Verbände und Institutionen üben harsche Kritik.


Deutschen Diabetes Gesellschaft und diabetesDE

So heißt es etwa im „Gesundheitsbericht Diabetes 2020“, herausgegeben von der Deutschen Diabetes Gesellschaft und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe:

„Schnell wurde […] offensichtlich, dass die Einbindung der Wissenschaft wohl hauptsächlich eine Alibifunktion erfüllte. Die konkreten Reduktionsziele und -fristen wurden außerhalb des Runden Tisches zwischen Politik und Industrie ausgehandelt. Das Ergebnis war enttäuschend: Bis 2025 soll der Zuckeranteil in Kinderjoghurts nur um 10 Prozent sinken, in Softdrinks um 15 Prozent und in Kinder-Cerealien um 20 Prozent. Es steht außer Frage, dass die Reduktionsstrategie so keinesfalls das Ziel erreichen wird, den Anteil von Menschen mit Übergewicht und Adipositas zu senken – weder bei Erwachsenen noch bei Kindern und Jugendlichen. Kritikwürdig ist auch die fehlende konkrete Vereinbarung von Sanktionsmaßnahmen seitens des Ministeriums. Die DDG lehnte daher im Februar 2019 eine Teilnahme am Begleitgremium zur Nationalen Reduktionsstrategie ab. Ihrer Einschätzung nach macht es keinen Sinn, derart geringe Zielvorgaben zu monitoren. Den Ausschlag gab auch, dass keine Nachbesserung der Ziele vorgesehen ist und dass die Wissenschaft keinerlei Einfluss auf konkrete Zielvorgaben nehmen kann.“[5]


Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)

Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) bemängelt, dass jedes Unternehmen der Ernährungswirtschaft seine eigenen Reduktionsziele bestimmen kann. Zudem wünscht sich der vzbv eine transparentere und einheitlichere Kommunikation von allen Beteiligten. So müssten konkrete Reduktionsschritte nachvollziehbar sein und verständlich erklärt werden – und das nicht nur für Produktgruppen insgesamt, wie es das Monitoring des MRI vorsieht, sondern für jedes Produkt einzeln. Zudem fehle bei den Forschungsvorhaben eine gesundheitliche Bewertung. Für wichtig erachtet es der vzbv außerdem, dass Zucker nicht einfach durch Süßstoffe ersetzt wird. Lebensmittel mit Kinderoptik dürften überhaupt keine Süßstoffe enthalten.


AOK, BVKJ, DDG

Der AOK-Bundesverband, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) forderten im Oktober 2020 in einer gemeinsamen Presseerklärung von der Bundesregierung weitere Maßnahmen, um den hohen Zuckerkonsum zu senken. Statt freiwilliger Vereinbarungen forderten sie eine Zuckersteuer auf gesüßte Erfrischungsgetränke und ein Werbeverbot für ungesunde, das heißt überzuckerte und hochkalorische Kinderlebensmittel. Zudem bewerten die drei Verbände die Zwischenergebnisse des Produktmonitorings in einem Punkt sehr kritisch: „Im Rahmen der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie in Deutschland wurde der Zuckergehalt bei regulären Limonaden durchschnittlich nur um 0,16 Gramm von 9,08 Gramm Zucker pro 100 Milliliter auf lediglich 8,92 Gramm gesenkt. Das sind nicht einmal zwei Prozent. Ähnlich sieht es bei Cola- und Colamix-Getränken aus.“[6] Erforderlich sei eine Senkung um mehrere Gramm, nicht Milligramm. Denn: „Kinder und Jugendliche trinken im Durchschnitt bis zu einem halben Liter zuckergesüßte Erfrischungsgetränke pro Tag.“[7]

Ein halber Liter Limonade enthält also selbst nach der Reduktion im Durchschnitt noch 44,6 Gramm Zucker. Damit nehmen die Kinder und Jugendlichen schon mehr als die empfohlene Zuckerhöchstmenge laut WHO auf.


Mein persönliches Fazit:

Ein Monitoring ist sicherlich hilfreich, um erst einmal zu wissen, was genau in den Fertigprodukten steckt. Ebenso, um Veränderungen feststellen zu können. Mit einer entsprechenden Zuckersteuer könnte es dem Staat auch gelingen, seine Steuerungsaufgabe wahrzunehmen und alternativ frische Lebensmittel steuerfrei zu machen.

Immerhin haben einige Lebensmittelfirmen schon innerhalb weniger Jahre reagiert und manche ihrer Produkte geändert – etwa den Zuckergehalt reduziert. In reinen Prozenten ausgedrückt hört sich eine Reduktion um zum Beispiel 17,7 Prozent bei den Quark- und Milchprodukten für Kinder gut an. Sieht man sich die absoluten Zahlen an, meine ich, dass ein sehr hoher Zuckergehalt von 13 Gramm pro 100 Gramm in einen immer noch hohen Zuckergehalt von 10,7 Gramm geändert worden ist. Wenn man bedenkt, dass die WHO für Kinder eine maximale Zuckerzufuhr von 10 Prozent der Kalorienzufuhr oder – je nach Altersstufe – 30 bis 42 Gramm täglich empfiehlt, ist dieses Maß schnell erreicht. Natürlicherweise enthält Quark statistisch nur 4 Gramm Zucker pro 100 Gramm; also ist mehr als die Hälfte des Zuckeranteils zugesetzter Zucker. Auch diesen könnte man Kindern schmackhaft machen – etwa mit Beeren oder dem Lieblingsobst. Diese sind durch den Fruchtzucker auch süß, außerdem gesund, und der darin enthaltene natürliche Fruchtzucker zählt bei der WHO-Empfehlung nicht zu den Zuckerarten, die zu begrenzen sind.

Die reine Fokussierung auf die Nährstoffe und Zutaten sehe ich auch beim Produktmonitoring sehr kritisch. Genauso wie den Fakt, dass nur für einige wenige Lebensmittel bzw. Produkte Reduktionsziele vereinbart worden sind. Was ist mit den vielen anderen, die häufig konsumiert werden? Ganz zu schweigen von der meist vorgefertigten Kost, die Kinder und Erwachsene in Kindergarten, Schule und Kantine vorgesetzt bekommen oder die sie sich im Imbiss holen. Hier fehlt mir der übergreifende, ganzheitliche Ansatz.

Dass die Lebensmittelfirmen den Reduktionszielen freiwillig nachkommen können, sorgt bei mir auch nicht gerade für Vertrauen. Immerhin kündigte der neue Ernährungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) im Januar 2022 an, verbindliche Reduktionsziele einzuführen. Ob es so weit kommt, werden wir sehen. Ganz besonders vor dem Hintergrund, dass er sich kurz zuvor in den Koalitionsverhandlungen mit seiner Forderung nach einer Zuckersteuer nicht hatte durchsetzen können.


Das NOVA-Konzept liegt klar im Vorteil

Zu viel Zucker, Fette oder Salze im Essen gibt es im NOVA-Konzept nicht. Im Gegensatz zur bisherigen Ernährungsstrategie aus der Politik setzt das brasilianische Ernährungskonzept darauf sich möglichst naturnah zu ernähren. Eine Reformulierung der Produkte gibt es nicht und braucht es auch nicht. Während das MRI seine Kapazitäten (Geld und Zeit) auf das Monitoring von „industriell vorgefertigten Produkten” konzentriert und die Politik auswertet wie sich diese Produkte mit der Zeit (nur geringfügig) verändern, zeigt das NOVA-Konzept ganz klar auf, dass diese Produkte hochverarbeitet sind und somit möglichst vermieden werden. Die Gesunde Ernährung nach der NOVA-Konzeption ist also nicht nur effektiver, sondern zudem noch deutlich effizienter – wir könnten unserer Forschungs- und Steuergelder durchaus sinnvoller verwenden.


[1] https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/gesunde-ernaehrung/reduktionsstrategie/reduktionsstrategie-zucker-salz-fette.html

[2] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/zwischenbericht-reduktionsstrategie-zucker-salz-fette-nri.pdf?__blob=publicationFile&v=10

[3] https://www.mri.bund.de/fileadmin/MRI/Veroeffentlichungen/S2020.pdf

[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/nationale-reduktions-und-innovationsstrategie-fuer-zucker-fette-und-salz-in-fertigprodukten-1829450

[5] https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/user_upload/06_Gesundheitspolitik/03_Veroeffentlichungen/05_Gesundheitsbericht/2020_Gesundheitsbericht_2020.pdf

[6] https://www.bvkj.de/politik-und-presse/nachrichten/2-2020-10-27-aok-bvkj-und-ddg-fordern-gesetzgeberische-massnahmen-zur-zuckerreduktion

[7] Ebenda


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